Die zentrale Wärmepumpe des Kölner Quartiers LÜCK nutzt Abwasserwärme als Energiequelle. Das Projekt zeigt das nahezu unerschöpfliche Potenzial in deutschen Städten und die Skalierbarkeit des Konzepts – aber auch, mit welchen Herausforderungen die Hebung dieses bislang vernachlässigten Energieschatzes verbunden ist.
„Lokale Potenziale nutzen, um Energieerzeugung und -verbrauch bestmöglich zusammenbringen, das ist der Kern dezentraler Versorgungskonzepte“, erklärt Dr. Sarah Debor. Sie verantwortet als Geschäftsfeldleiterin bei der naturstrom AG den Bereich Urbanes Wohnen und Gewerbe, der zu klimafreundlichen Energielösungen berät, sie plant, umsetzt und betreibt. Auch im Kölner Wohnquartier LÜCK sind Debor und ihr Team für das Energiekonzept zuständig. Hier nutzen sie eine urban reichlich vorhandene, aber bislang jedoch kaum erschlossene erneuerbare Energiequelle: Abwasser.
Ein Trumpf für die Wärmewende
Dieses fließt – treffenderweise unter der Äußeren Kanalstraße – nur wenige Meter außerhalb des ehemaligen Fabrikgeländes in Ehrenfeld. Dort errichtet die wvm Gruppe seit 2023 vier Mehrparteienhäuser für 216 Wohneinheiten und eine Großtagespflege. Alle über naturstrom vollständig fossilfrei beheizt, dank Abwasser und Photovoltaik.
Auf einer Länge von 120 m sind Wärmetauscher der Firma UHRIG in den bestehenden städtischen Kanal eingebaut worden. Diese entziehen dem vorbeirauschenden Abwasser Wärmeenergie. Über vorsätzlich nicht gedämmte Rohrleitungen – um auch dem umschließenden Erdreich Wärme zu entziehen – wird diese in die Heizzentrale des Quartiers transportiert. Dort hebt eine Großwärmepumpe mit 87 kW elektrischer Eingangs- und 352 kW thermischer Ausgangsleistung die Temperatur des Heizwassers an. Dank des hohen Baustandards nach KfW 55 und des somit niedrigen Energiebedarfs von rund 50 kWh pro m2 reichen im lokalen Wärmenetz bereits 40 °C aus, was ein effizientes Heizen ermöglicht. Ein 20 m3 umfassender Pufferspeicher stellt sicher, dass die Energie gleichmäßig gewonnen und langfristig gespeichert werden kann.
Urbanes Energie-Recycling
Die innovative Energiequelle Abwasser bietet viele Vorteile – insbesondere im urbanen Raum. Denn die Menge an bislang ungenutzter Restenergie ist gerade in Städten, aber auch nahe industrieller Zentren, enorm. Vom Dusch- und Nudelwasser bis zu Abflüssen aus Gewerbegebieten: In vielen Fällen wurde bereits Energie aufgewendet, um Wasser zu erhitzen. Bislang verpufft diese zumeist und landet ohne weiteren Nutzen in Abfluss, Klärwerk und schließlich Gewässern. Dabei könnte sie nahezu problemlos weitergenutzt werden.
Angesichts der rund 600.000 km Kanalinfrastruktur in Deutschland zeigt sich, welche Möglichkeiten sich bieten. Auch wenn nur ein relativ kleiner Teil der Kanäle die Voraussetzungen zur Abwasserwärmegewinnung – wie etwa eine Mindestbreite von 80 cm und einen Trockenwetterabfluss von 10 l/s – erfüllt, bleiben Zehntausende Kilometer übrig.
216 Haushalte und eine Großtagespflege werden in Köln-Ehrenfeld klimafreundlich durch Abwasserwärme versorgt.
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Ganzjährig geeignete Temperaturen
Den Vergleich mit anderen Wärmequellen für angeschlossene Wärmepumpen muss Abwasser nicht fürchten, ganz im Gegenteil: Mit zehn bis zwölf Grad im Winter liegen die Mittelwerte in der Regel deutlich über jenen für Umgebungsluft und oftmals auch über denen für oberflächennahe Geothermie. Bei letzterer kommt im dichtbebauten Raum erschwerend hinzu, dass Bohrungen aus verschiedensten Gründen kaum möglich oder unwirtschaftlich sind. Abwasserkanäle hingegen strotzen gerade dort nur so von besagter Restenergie und sind vielerorts relativ leicht zugänglich – wenn die lokalen Stadtentwässerungsbetriebe sich kooperativ zeigen. Dazu später mehr. Langfristig wohl besonders interessant: Auch im Sommer überschreiten die Temperaturen im Kanal nur selten 20 Grad, sodass die Kreisläufe umgedreht und zur Kühlung der angeschlossenen Gebäude genutzt werden können.
Photovoltaikstrom fürs Heizsystem
LÜCK nutzt jedoch nicht nur Abwasserenergie. Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Wohnhäuser liefern einen Teil des benötigten Stroms der Heizzentrale. Module mit einer Gesamtleistung von 99 kW peak – knapp unter der bei Planung geltenden Direktvermarktungsgrenze – liefern rund 91.000 kWh im Jahr. Etwa ein Fünftel davon findet unmittelbar in der Heizzentrale Verwendung. Insgesamt können 10 % des von der zentralen Wärmepumpe benötigten Stroms direkt vor Ort erzeugt werden. Angesichts der asynchronen Erzeugungs- und Bedarfskurven von Photovoltaik und Wärmebedarf ein respektabler Wert. Für die Reststrommenge liefert naturstrom als Betreiber des Heizsystems Ökostrom aus hiesigen Windenergie-, Photovoltaik- und Wasserkraftanlagen über das öffentliche Netz. Eine 100 % erneuerbare Wärmeversorgung ist in LÜCK so allzeit sichergestellt.
Lesen Sie mehr zu diesem und weiteren Projekten in der Ausgabe 6.2024 von QUARTIER – Fachmagazin für urbanen Wohnungsbau.
[Auszug aus QUARTIER 6.2024, Autorin: Nadine Busse]
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