Das im 18. Jahrhundert erbaute Rathaus der Stadt Schorndorf steht als zentraler Solitär auf dem Marktplatz und gilt als Wahrzeichen der schwäbischen Kleinstadt. Die Stuttgarter Architekten Peter Ippolito und Gunter Fleitz trimmten das historische Gebäude mit der für das Architekturbüro typischen Qualität auf die modernen Anforderungen an eine städtische Verwaltung.
Das 1726–30 erbaute Rathaus dominiert als Solitär den Marktplatz und ist das Wahrzeichen der Stadt Schorndorf (38.000 Einwohner). In einer ersten Umbauphase wurden zunächst die Obergeschosse des Hauses energetisch und denkmalgerecht saniert. In der zweiten Bauphase folgten die Neugestaltung der öffentlichen Bereiche im Erdgeschoss sowie der Fassade. Hauptidee der Gestaltung war es, den historischen Raum sichtbar zu machen und die öffentlichen Bereiche multifunktional und flexibel bespielen zu können. Die dabei in allen Bereichen geschaffene Transparenz steht für ein bürgernahes Demokratieverständnis und erinnert an die ursprüngliche Funktion des Untergeschosses als Markthalle.
Die baulichen Veränderungen insbesondere der 1980er-Jahre hatten am Gebäude deutliche Spuren hinterlassen. Der Innenraum wirkte rustikal und durch die Holzauskleidung beengt, die historische Bausubstanz war kaum noch erkennbar. Für unser Ziel, den historischen Raum wiederzubeleben, wurde das Erdgeschoss vollständig entkernt und der Grundriss radikal neuorganisiert.
Besucher erreichen das Gebäude über das Foyer. Dieses präsentiert sich als weiter offener Raum, der mit seinen verschiedenen Niveaus geradezu landschaftlich wirkt. Die freistehenden Holzpfeiler werden durch die Lichtinszenierung oder die museal wirkende Glaseinfassung im Boden in den Vordergrund gerückt und betonen die Historie des Gebäudes. Weitere Reminiszenzen an die Vergangenheit des Ortes als Marktplatz sind der bis in den Plenarsaal durchlaufende Natursteinboden aus Travertin, die zum Saal hinabführenden Holzstufen und die grob verputzte Längswand mit dunklem Anstrich. An der Decke werden die Holzpfeiler von weit ausgreifenden LED-Lichtringen spielerisch umschlungen und verleihen dem Raum einen festlichen Charakter.
Im Eingangsbereich des Foyers ist die Stadtinformation untergebracht. Regale und der Counter aus Mineralwerkstoff sind um eine Stütze herum inszeniert. Eine hoch gepolsterte Eckbank bietet hier Sitzgelegenheit.
Vom Foyer führt eine Treppe hinauf zu einer Zwischenebene, auf der der Trausaal als Bindeglied zwischen Foyer und Plenarsaal schwebt. Die Rundumverglasung verleiht dem Raum Leichtigkeit, eine Plattform vor dem Raum öffnet spannende Perspektiven auf das Foyer. Da auch die darunterliegende Front verglast ist, bleibt das gesamte Geschoss immer als ein Raum erfassbar.
Leichtigkeit und fließende Formen prägen auch den großen Plenarsaal. Zentrales Entwurfselement ist die Deckengestaltung. Das Deckensegel zieht sich in einer wellenförmigen Bewegung vom Trausaal bis zur zentralen Rückwand und öffnet den Raum durch die gebogenen Abschlüsse an den Rändern zu den Außenwänden. Decke und Rückwand bilden dabei eine Einheit, die sich wie eine Schutzhülle über den Saal legt. Die Rückwand – hinter der Medientechnik, Stuhllager und Garderobe verborgen sind – wird von zwei Spiegelwänden flankiert, die die Dreidimensionalität des Wand-Decke-Elements weiter betonen.
In das Deckensegel ist die Haustechnik nahezu unsichtbar integriert. Für eine perfekte Raumakustik sorgt eine weitere Deckenfläche mit Akustikperforation, die in einem dynamischen Verlaufsraster ausläuft. Akustikdecke und Natursteinboden ziehen sich durch Plenarsaal und Foyer und verstärken die gesamtheitliche Raumwirkung.
Die feste Betischung verzichtet auf die übliche parlamentarische Sitzanordnung. Dem Podium ist eine offene U-Form zugewandt, um die sich die hinteren Tischreihen legen. Es entsteht eine einander zugewandte, konstruktive Kommunikationsatmosphäre. Erfordert das Tagungsthema Diskretion, kann diese durch die raumhohen Vorhänge und die Lichtsteuerung hergestellt werden.
Die starke Wirkung des Raums bleibt nicht auf das Innere beschränkt, sondern ist durch die Neugestaltung der Fassade auch von außen erlebbar. Die großen Bogenfenster wurden als Stahlfenster mit schlanken Sprossen realisiert und sind bis zum Boden durchgezogen. Auf Höhe des Plenarsaals kann man insbesondere bei Nacht vollständig durch das Gebäude hindurchsehen. Die als Fluchtweg notwendige neue Treppe an der Längsseite wirkt hier wie eine zusätzliche Einladung, sich dem Raum zuzuwenden. Das Lichtkonzept betont die offenen Rundbögen und die Fassadengliederung. Transparenz und Offenheit des Gebäudes werden so zum Symbol für ein Politikverständnis, das Partizipation und Bürgernähe in den Vordergrund stellt.
Den konstruktiv größten Eingriff in die Gebäudestruktur stellte der für den behindertengerechten Zugang notwendige Einbau des Personenaufzugs dar. Durch das Einfügen des Aufzugsschachts mussten in sämtlichen Obergeschoßen auch brandschutztechnisch erforderliche Sanierungsmaßnahmen ergriffen werden.
Mit der denkmalgerechten Sanierung des Rathauses erhält Schorndorf einen multifunktionalen, atmosphärisch dichten Bürgersaal. Die historischen Gebäudeteile sind sensibel in die zeitgenössische Raumgestaltung integriert. Durch die Transparenz des Gebäudes nimmt dessen Inneres teil an der Öffentlichkeit auf dem Marktplatz.
Architekten: Ippolito Fleitz Group GmbH, www.ifgroup.org
Team: Peter Ippolito, Gunter Fleitz, Christian Kirschenmann, Tim Lessmann, Markus Schmidt,
Roger Gasperlin
Bauherr: Stadt Schorndorf, www.schorndorf.de
Fertigstellung: November 2012
Fläche: 654 m²
Lichtplanung: Lichtwerke GmbH, www.lichtwerke.com
Fotographie: Zooey Braun, www.zooeybraun.de