Die Bundesstraße B14 durchschneidet das städtische Gefüge der Landeshauptstadt Stuttgart in Abschnitten mit bis zu zehn Fahrspuren. Mit der Auslobung eines internationalen städtebaulichen Wettbewerbs sollte die trennende Verkehrsschneise auf einer Länge von ungefähr 5 Kilometern überplant und der begonnene Paradigmenwechsel – weg von der autogerechten, hin zur menschengerechten Stadt – umgesetzt werden. Die teilnehmenden Büros durften eine zukünftige Reduzierung des Verkehrsaufkommens um 50% als vorgegebene Rahmenbedingung für ihre Konzepte annehmen.
Bereich Neues Schloss. Quelle: asp Architekten, Stuttgart
Bereich Neckartor. Quelle: asp Architekten, Stuttgart
Neue Orte und Lebensräume
In ihrem Siegerentwurf holen asp Architekten den Verkehr, der heute in vielen Abschnitten des Wettbewerbsbereichs unterirdisch durch Tunnelbauwerke geführt wird, konsequent nach oben. Zusätzlich reduzieren sie die Straßenbreite auf zwei bis maximal vier Fahrspuren, machen Platz für Fahrradfahrer und Fußgänger und schaffen an neuralgischen Stellen Querungsmöglichkeiten, um das städtische Beziehungsgeflecht zu stärken. So wird die ehemalige Stadtautobahn zu einer ganz normalen Stadtstraße. Besonderer Benefit: Die frei werdenden Flächen bieten vielfältige Aneignungsmöglichkeiten für die Stadtgesellschaft; sei es für Wohnen, Arbeiten, Kultur, Sport oder andere Freizeitaktivitäten.
Paulines Park. Quelle: asp Architekten, Stuttgart
Ausgehend vom spezifischen Stuttgarter Kontext stehen für asp Architekten aber nicht die verkehrliche Umverteilung oder technische Zukunftsvisionen im Vordergrund. Vielmehr sollen sich die Bürgerinnen und Bürger innerstädtische Flächen wieder aneignen und zurückerobern. Cem Arat, einer der fünf Büropartner der asp Architekten GmbH, erläutert: „Mit diesem Entwurf zeigen wir, wie die B14 von einem monofunktionalen Verkehrsbauwerk in einen vielgestaltigen Lebensraum transformiert werden kann, indem wir die verschiedenen Querungen stärken und nicht die Straßenachse. Wir haben die Vision eines maximal durchgrünten Stadtraums, der ökologisch wertvoll ist und die Bedürfnisse und Sehnsüchte der hier lebenden Menschen erfüllt.“
Kultur Ramblas. Quelle: asp Architekten, Stuttgart
Stadtökologie
Wichtiges Element der Stadtreparatur, die asp Architekten und Koeber Landschaftsarchitektur vornehmen, ist ein durchdachtes Konzept für die Stadtökologie. Denn nur, wenn eine Stadt seinen Bewohnern ein angenehmes Stadtklima und ausreichend Räume für die Erholung bieten kann, wird sie als lebenswert erachtet. Stuttgart, mit seiner Kessellage, benötigt dringend mehr Grün im öffentlichen Raum, muss sich nachhaltig und sozial positionieren, um auch für junge Familien und ältere Menschen attraktiv zu sein. Grünflächen und -anlagen sind in dem Siegerentwurf kein schmückendes Beiwerk, sondern essentieller Bestandteil der vorgeschlagenen Interventionen.
Neckartor. Quelle: asp Architekten, Stuttgart
Profunde Ortskenntnis
Patrick Gmür, Vorsitzender des Preisgerichts, begründet die einstimmige Entscheidung der Jury: „Stuttgart wird gewinnen, wenn dieser Bereich so entwickelt wird wie vorgeschlagen. Der Entwurf nutzt vorhandene Qualitäten, repariert Schwachstellen und unterteilt das Gebiet klug in Sequenzen.“ Dabei gehen die Planer über die Forderungen der Auslobung hinaus und widmen sich nicht nur der Neuordnung der Straße. Vielmehr richten sie das Augenmerk auf die gesamte Innenstadt. Mit einem feinsinnigen Gespür für ortstypische Situationen und Begebenheiten decken sie alte, verschüttete Beziehungen auf, schaffen neue Verbindungen und reparieren Wunden, die die Geschichte hinterlassen hat. „Wir nehmen bestehende Bezüge auf, schaffen Querverbindungen und spannen diese bis in die angrenzenden Quartiere hinein – und das stets mit Eingriffen, die den Mensch als Maßstab haben“, erklärt Markus Weismann, ebenfalls Partner bei asp Architekten, den Entwurfsansatz. Und als Quintessenz: „So entsteht ein lebendiges, lebenswertes städtisches Geflecht, das Raum für zahlreiche Funktionen und Nutzungen bietet.“