Der 2018 bis 2021 stattfindende Umbau des 1907 errichteten Kammergebäudes der Thiepvalkaserne in der Schellingstrasse 9-11 ist Beispiel für einen zeitgemäß respektvollen Umgang mit historischer Bausubstanz. Ein wahrer Balanceakt wurde von den Architekten Dannien und Roller erbracht zwischen Militärhistorie mit seinem Machtanspruch, den funktionalen und symbolischen Anforderungen an einen Ort der unabhängigen Rechtsprechung und dem Wunsch der Denkmalpflege, auf starke Inszenierung des Neuen zu verzichten.
Fotografie: Dietmar Strauß
Im Zuge der Notariatsreform entsteht 2017 der Entschluss, für das Amtsgericht in dem landeseigenen Gebäude das Nachlass-, Betreuungs- und Insolvenzgericht unterzubringen.
Das dreigeschossige Kammergebäude, ein schlichter Stahlbetonskelettbau mit gemauerten, hell verputzten Außenwänden und Klinkergliederung, ist ungeachtet der politischen Bestrebungen seiner Erbauer von gestalterischer Qualität. Unterschiedlichste Nutzungen im Laufe der Zeit, u.a. als Fahrzeughalle und Wäscherei, führten zur Schädigung der Bausubstanz und erforderten Sanierungs- und Umbaumaßnahmen. Aus statischen Gründen wurden die Fundamente ausgetauscht, die neue Bodenplatte tiefer gelegt, sowie die Decke über dem Erdgeschoss entfernt. Umfangreiche Abfangmaßnahmen waren nötig. Die Nutzung als öffentliches Verwaltungsgebäude erforderte die Ertüchtigung des Brandschutzes.
Barrierefrei erschlossen wird das Amtsgericht von der Schellingstraße über zwei historische Torbögen. Die Garagentore auf der Rückseite des Gebäudes wurden geöffnet und versorgen die Gerichtssäle und Besprechungsräume mit Licht und Transparenz. Als Reminiszenz an die Holztore sind die Glasscheiben in der Tiefe versetzt angeordnet. Der lebhafte Spiegeleffekt des ein- und ausfallenden Lichtes verleiht dem Erdgeschoß bewegte Bildhaftigkeit. Die Kubatur des Baus respektierend, wird der Windfang als Holz-Glas-Konstruktion ins Innere gezogen. Das großzügige Foyer ist von unprätentiöser und doch würdiger Gestaltung, das Selbstverständnis der Institution Amtsgericht zum Ausdruck bringend, weg von einer bedrückenden Atmosphäre des Verurteilens, hin zu einer unabhängigen Rechtsprechung.
Die neu eingebrachte Stahlbetondecke, dem Ausdruck der abgebrochenen Plattenbalkendecke der Fahrzeughalle verhaftet, ist im Eingang und in den Gerichtssälen als Konstruktion sichtbar. Rau verputzte Wände in warmem Hellgrau sowie der helle, geschliffene Sichtestrich erzeugen räumliche Tiefe und stehen in harmonischem Kontrast zum hellen Eichenholz der Raummöblierung. Dynamik erzeugen neun Stahlbetonstützen vor den Gerichtsräumen. Die sechseckig asymmetrischen Pfeiler, der Beton gestockt auf einer Seitenfläche, erwecken Assoziationen an die Rauheit des früheren Zweckbaus. Das subtile Spielen mit Materialien und Oberflächen erzeugt Ordnung, Klarheit und Transparenz und verleiht den Räumlichkeiten Würde.
Die internen Arbeitsräume für Richter und Mitarbeiter sowie die Registraturen sind in den zwei Obergeschossen und dem Dachgeschoss untergebracht. Der Umbau der oberen Etagen bewahrt und aktiviert das Bestehende. Neues in Material, Formensprache und Konstruktion wird hinzugefügt, die vorgegebene räumliche Qualität aufgreifend. Die Arbeitsatmosphäre wird begleitet von klaren Formen und ästhetischer Reduktion. Das warme Hellgrau der Wände korrespondiert mit dem Grün-Grau der Holzfenster. In freigelegten, gerundeten Laibungen ruhend, gewähren sie inszeniert wirkenden, großzügigen Lichteinfall. Hervorzuheben sind die als „Raum im Raum“ zentral angesiedelten Begegnungsinseln mit Küchenzeile für die Mitarbeiter.
Als Zeichen der neuen Identität des Gebäudes ruhen wie selbstverständlich über dem Eingang die Mahlau Buchstaben „Amtsgericht“. Schlank und von zeitloser Eleganz geht der metallene Schriftzug mit der Architektur eine kongeniale Synthese ein, ist Informationsträger und skulpturales Fassadenornament zugleich.