Interview mit Jochen Eisentraut
Der Berliner Architekt und Künstler Jochen Eisentraut schafft Bilder, die oft Grenzgänge zwischen Kunst und Architektur, aber auch zwischen den Medien sind: Gezeichnete Skizzen überträgt er in den Computer und verwandelt sie dort in dreidimensionale räumliche Gebilde. Linienwirbel fügen sich zusammen zu überraschenden, komplexen Ansichten.
Eine wichtige Rolle spielt für Eisentraut dabei die Emotionalität, die gerade in der häufig durchrationalisierten Architektur untergeht. Seine Räume sind experimentelle Räume im Exzess, in der dionysischen Ekstase oder im magischen Glühen von Licht und Klängen: Sichtbar gemachte Möglichkeitswelten, die als Gegensetzungen zu den rationalen Gegenwartsräume Irritationen schaffen können.
Im Mai sind Arbeiten von Jochen Eisentraut in der Gruppenausstellung »crossart international goes Hamburg« – zusammen mit Anja-Alexandra Kaufhold, Kerstin Kleemann, Thomas Demuth und Bernd Müller – in der rimaju-Galerie in Hamburg zu sehen (7. – 28. Mai 2011).
Ende August werden Arbeiten von ihm gemeinsam mit einem Fotokünstler in Berlin zu sehen sein. Gezeigt werden unter anderem zwei farbintensive Werke aus der Serie »Magische Räume – Raumskizzen zu Brahms, Sinfonie Nr. 4« vom letzten Jahr.
Im Interview mit Simone Kraft von deconarch.com erläutert Jochen Eisentraut seine Arbeitsweise mit Skizze und Computer, spricht über den wechselseitigen Einfluss von Architektur und Kunst und über die besondere Bedeutung gebauter Strukturen – real ebenso wie virtuell.
Simone Kraft: Jochen Eisentraut, Sie übertragen gezeichnete Skizzen in den Computer und bearbeiten sie dort weiter. Welche Vorteile bietet diese Vorgehensweise?
Jochen Eisentraut: Mit Hilfe von Skizzen kann man sehr schnell Ideen visualisieren, ohne diese ganz konkret ausformulieren zu müssen. Skizzen bleiben bewusst im Vagen, lassen Interpretationsmöglichkeiten offen. Indem ich die gezeichneten Linien vom Blatt löse und sie frei in den virtuellen Raum stelle, behalte ich die Unschärfe bei, erweitere aber die Möglichkeit des Skizzierens um eine räumliche Dimension. Das gezeichnete Linienwerk lässt sich zu räumlichen Gebilden zusammen- und in Szene setzen. Beim virtuellen Durchwandern bin ich selbst immer wieder fasziniert und überrascht von der Komplexität der neu geschaffenen Räume.
Simone Kraft: Welche Möglichkeiten bietet die künstlerische Ausdrucksweise?
Jochen Eisentraut: Rein technisch erweitert der Computer meine künstlerische Ausdrucksweise enorm, indem er etwa die in den virtuellen Raum transformierten Linien aus verschiedenen Richtungen beleuchten oder betrachten lässt. Da aus den Linien ein dreidimensionales Flechtwerk entsteht, lassen sich natürlich auch stereoskopische Bilder erzeugen.
Künstlerisch interessant ist für mich aber vor allem die den Bildern eingeschriebene Ambivalenz, die es erlaubt, latente Schwebezustände, etwa zwischen Architektur und Natur, oder allgemeiner zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit, darzustellen. Die Bilder werden so zu Projektionsflächen, die je nach Betrachtungsintention changieren oder bestehende Abgrenzungen in Frage stellen.
Jochen Eisentraut: Ein paradigmatisches Projekt ist die Bilderserie „Tanz eines dionysischen Raumes“. Im Hinterkopf hatte ich dabei nicht nur Nietzsches dionysisches Prinzip in der Kunst, sondern ganz anschaulich auch die Techno-Clubs, die im Berlin der 1990er Jahre entstanden. Das waren für mich dionysische Gegenwelten, Fluchtorte der temporären Ekstase und des Rausches, abgeschirmt von der Außenwelt und mit einer ganz eigenen, flüchtigen Ästhetik. Für meine Bilderserie habe ich einen Raum aus einer Pyramide (also einer geometrisch-rationalen Form) konstruiert, in den ich ekstatisch bewegte Formen eingetragen und so den Raum in einen rauschhaften Tanz versetzt habe. Dabei entstehen im spielerischen Umgang mit dem virtuellen Material manchmal flüchtige Gebilde wie die einer Phallusfigur, die in einem Bild erscheinen und im nächsten wieder mit dem Raum verschmelzen. Vielleicht denkt man dabei auch an den Planet Solaris aus dem gleichnamigen Buch von Stanislaw Lem, der aus seiner Substanz Trugbilder schafft, die sich gleich darauf wieder verflüchtigen.
Simone Kraft: Was ist charakteristisch für Ihre Arbeit – in Ihren Worten?
Jochen Eisentraut: Ein besonderes Charakteristikum ist sicherlich die Verschleifung von Realität und Virtualität, also von analogen, handgefertigten Skizzen mit den Möglichkeiten dreidimensionaler Computertechnik. Das gibt den Bildern eine oszillierende Hybridität, die sich oft auch in den Inhalten fortsetzt.