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Do, Apr

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Die Architektin Antje Holdefleiss baut eine nachhaltige Öko-Universität in Ghana

Menschen

KASAPA-Centre, 40 km westlich von Accra. Nachhaltige Bauweise in den Tropen, klimagerechte und standorttypische Ausführung durch Verschattung, natürliche Querlüftung und regionale Materialien

Antje Holdefleiss arbeitete als Architektin in Dublin und studierte berufsbegleitend den Postgraduate Master Architektur und Umwelt beim Fernstudienanbieter WINGS in Deutschland als ihr Berufsleben eine deutliche Wende nahm: Für ihre Masterthesis bekam sie die einmalige Chance, ein Jahr im westafrikanischen Ghana zu leben und ein nachhaltiges innerstädtisches Stadtquartier zu entwerfen.

Parallel baute sie ihre Erfahrungen in nachhaltiger Architektur in den Tropen an einem realen klimaschutzfreundlichen Projekt aus. Die 35-jährige Architektin half mit, in der Hauptstadt Accra die erste afrikanische Öko-Uni, die Valley View University (VVU) zu errichten. Heute ist Antje Holdefleiss in dem Schweizer Ingenieurunternehmen CSD Ingenieure als Beraterin tätig und arbeitet in der Berliner Niederlassung im Bereich Nachhaltiges Bauen.

Rolf Mauer sprach mit Antje Holdefleiss über Ihre Arbeit als Architektin in Ghana und die Chancen einer nachhaltigen Architektur in Afrika.

Im Rahmen des Klimaschutzprojektes an der Valley View University wurde das Internationale Symposium durch die Gesamtprojektleitung Ingenieurökologische Vereinigung (IÖV) organisiert

INTERVIEW

Rolf Mauer: Welche Bedeutung haben Ökologie und umweltbewusstes Bauen in einem afrikanischen Land wie Ghana?

Antje Holdefleiss: Die Menschen in Afrika spüren die positiven und auch negativen Umweltauswirkungen in ihrem Alltag hautnah. Abwasser- und Trinkwasserversorgung, Gesundheit, Landwirtschaft, Erosionsgefahren, Fruchtbarkeit der Böden, Hochwasserkatastrophen oder Energieengpässe sind nur einige der Themen, mit denen sie täglich zu kämpfen haben. Ihre Gesundheit leidet unter zum Teil prekären hygienischen Verhältnissen oder sie müssen täglich lange Wanderungen zurücklegen, um Trinkwasser und Brennholz zu besorgen.

Meiner Meinung nach ist das Wort »Umweltbewusstsein« daher nur ein relativer Begriff, wenn Europäer denken, sie gehen mit der Umwelt verantwortungsvoll um. Auf politischer Ebene ist natürlich anzuerkennen, dass die Umweltbewegung in Europa schon seit geraumer Zeit Einfluss üben konnte. In Deutschland sind beispielsweise viele Gesetzgebungen zum Umweltschutz wesentlich umfangreicher und werden besser kontrolliert als in  Entwicklungsländern.

Rolf Mauer: Inwiefern ist die Valley View University in Ghana ein nachhaltiger Bau?

Antje Holdefleiss: Ich habe vor Ort in Accra hauptsächlich am Fakultätsgebäude der Valley View University (VVU) mitgearbeitet, das in einen ganzheitlich geplanten städtebaulichen Masterplan eingebettet ist. Langfristig vereint der Komplex alle Aspekte, die eine nachhaltige Entwicklung ausmachen, ohne jedoch dabei zukünftige Anpassungen – insbesondere an veränderte menschliche Bedürfnisse – zu behindern. Das ist beim nachhaltigen Städtebau ein wesentliches Grundprinzip. Das ganzheitliche Konzept zeigt sich an der VVU nicht nur daran, dass alle interdisziplinären Fachgebiete miteinander vernetzt, sondern auch die Menschen – die Nutzer, die Öffentlichkeit und sogar die ghanaische Politik – mit einbezogen werden.

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Fernsehbeitrag der Deutschen Welle über die Valley View University (VVU) und die Arbeit von Antje Holdefleiss


Rolf Mauer: Wie haben die Menschen, die dort leben, das ökologische Bauprojekt erlebt?

Antje Holdefleiss: Das Leben der Studierenden, Lehrenden und Angestellten der Valley View University  hat sich mit dem ganzheitlichen Konzept in ganz vielen alltäglichen Situationen positiv verändert. Sie haben enorm an Lebensqualität hinzugewonnen. Die gepflanzten Bäume beziehungsweise die kühlende Vegetation sind natürlich nicht nur für das Mikroklima besonders wichtig, sondern sie spenden den Menschen in der Hitze auch Schatten und verschönern optisch vor allem den Campus. Die Studenten lernen heute zum Beispiel am liebsten unter den Schatten werfenden Bäumen oder auf den neu gebauten luftigen Verandas.

Der Campus verfügt über sehr große landwirtschaftliche Flächen, die in nachhaltige lokale Wasser- und Nährstoffkreisläufe eingebunden sind. Die Kreisläufe entstehen durch die Verwertung aller Rohstoffe, die in und an den Gebäuden des Campus anfallen. Viele von den Studenten haben auch ein Gemüsebeet, das nun durch geschlossene Nährstoffkreisläufe gedüngt wird; so müssen sie keinen Kunstdünger mehr kaufen. Die Biogasanlage liefert Biogas für die Kochherde der Mensa; damit haben wir die Kosten für den Gaskauf senken können. Die Photovoltaikanlage sorgt für eine stabile Stromversorgung in dem neuen Fakultätsgebäude, so dass ununterbrochen den Studierenden ein Internetzugang ermöglicht wird. Alle Gebäude sind nach einem intelligenten, architektonischen Konzept entwickelt, das eine natürliche Belüftung ermöglicht und eine Aufheizung der Räume verhindert. So wird ein angenehmes Raumklima ohne unbezahlbare Klimaanlage erzeugt.

 

Architektin Antje Holdefleiss und Emmanuel Kwandahor, Director of Physical Plant, Valley View University

Rolf Mauer: Was unterscheidet nachhaltiges Bauen in Europa und Afrika?

Antje Holdefleiss: Nachhaltige Bauten bieten den Menschen in Afrika einen extrem hohen direkten Mehrwert. In Accra wird die Stromversorgung zum Beispiel zwei Mal wöchentlich über mehrere Stunden unterbrochen. Damit die Strom-, Benzin- und Wasserversorgung möglichst stabil in Ghana ist, werden Strom und Trinkwasser aus der Volta Region – eine Region im Südosten des Landes mit dem weltweit größten Volta-Staudamm – geliefert. Die Nachbarländer Ghanas werden auch darüber versorgt, so dass der Strombedarf mit der Entwicklung der Region rapide ansteigt. Dezentrale Lösungen können für solche Regionen langfristig eine Lösung des Problems sein. In Bezug auf die nachhaltige Architektur sind die Themen auf beiden Kontinenten ähnlich, jedoch unterscheiden sich die Aufgabenstellungen. In europäischen Ländern sind solche Lösungsansätze anders zu bewerten, da hierzulande meistens große Infrastrukturnetze für Strom, Trink- und Abwasser vorhanden sind.

Rolf Mauer: Wie groß ist das Bewusstsein für Ökologie in den Entwicklungsländern?

Antje Holdefleiss: Die Sorgen und Nöte der Menschen in Entwicklungsländern sind in den meisten Fällen ganz andere als bei uns Europäern – und vor allem: Sie sind so essentiell für ihre Existenz, dass sie sich nicht mit dem Klimaschutz als globale Aufgabe beschäftigen können. Die Bevölkerung ist keineswegs desinteressiert – sie hat nur keine Wahl. Alltägliche Fragen wie »Lasse ich das Auto heute stehen oder nehme ich lieber das Fahrrad?« stellen sich erst gar nicht. Es gibt nur eine Möglichkeit – und nach Bequemlichkeit wird dabei nicht gefragt.

Die Situation in Ghana ist ein positives Beispiel für ein Entwicklungsland: Dort existiert eine Mittelschicht, die sich durch eine gewisse Ausbildung auch eine Meinung zur Nachhaltigkeit ihres eigenen Lebens und ihre Landes gebildet hat. Die elementaren alltäglichen Fragen drehen sich jedoch nicht um den Kauf von Bio-Fleisch oder die Wahl eines Stromanbieters, sondern es sind Themen, die jeden Menschen früher oder später in seinem Leben beschäftigen: Ausbildung, Demographie, soziale und funktionale Netzwerke, Gesundheit und zum Beispiel Mobilität.

Rolf Mauer: Welche Rolle spielt das Ghana-Projekt in Ihrem Leben und auch speziell für Ihre berufliche Laufbahn?

Antje Holdefleiss: Das Fachwissen, das ich in dem WINGS-Aufbaustudium Master Architektur und Umwelt erworben habe, konnte ich beim VVU-Projekt in Ghana direkt in die Praxis umsetzen. In kultureller Hinsicht ist der Ghana-Aufenthalt ein ganz besonderes Ereignis und keineswegs vergleichbar mit meinen anderen Auslandserfahrungen. Ich habe gelernt zu verstehen, dass außerhalb von Europa ganz andere Realitäten existieren. In der Zeit ist mir bewusst geworden, auf welche Weise direkt vor Ort in einem tropischen Entwicklungsland Gutes bewirkt werden kann. Das Ghana-Projekt setzt zahlreiche visionäre Nachhaltigkeitskonzepte um, die bei uns in Deutschland bislang nur ansatzweise in Entwürfen existieren. Meiner Meinung nach gibt es in Europa oder sogar weltweit noch keine moderne Kreislaufwirtschaft in einem so großen und funktionalen Gefüge wie es bei der VVU der Fall ist. Der Bau ist einzigartig in dieser Konzeption und liefert daher essentielle Datengrundlagen, um zum Beispiel die Lebensdauer der Systeme und die Nutzerakzeptanz auszuwerten.

Rolf Mauer: Glauben Sie, dass sich langfristig die nachhaltige Bauweise durchsetzen wird und dafür künftig zunehmend mehr Fördergelder investiert werden?

Antje Holdefleiss: Viele Aspekte des Nachhaltigen Bauens sind mittlerweile schon verbindliche Maßnahmen in der Bau- und Architekturbranche. Die Aufgabe ist es jetzt, sie nicht isoliert, sondern synergetisch einzusetzen. Mit dem zunehmenden Ressourcenmangel werden zwangsläufig Prozesse umstrukturiert und hin zu einer technischen sowie biologischen Kreislaufwirtschaft führen. Ich denke aber, dass die meisten Länder erst dann agieren, wenn der Druck, vielmehr die Preise am Markt, untragbar geworden sind. Nationen, die vorausschauend planen, werden sicherlich zunehmend in nachhaltiges Bauen investieren.

Es bleibt jedoch die Frage offen, welches die zukunftsträchtigen Systeme sein werden, in die investiert werden sollte. Wir befinden uns im Zeitalter des Aufbruchs – was bedeutet, dass wir jetzt experimentell herausfinden müssen, welche Lösungen für die nachhaltige Bauweise am besten sind. Die Konzepte müssen sich in den kommenden Jahren erst einmal bewähren. In den nächsten zwei, drei Jahrzehnten werden wir erst mehr wissen und die verschiedenen Lösungsansätze besser bewerten können. Lösungen, die sich flexibel an zukünftige Anforderungen anpassen lassen, werden definitiv Bestand haben.

Rolf Mauer: Frau Holdefleiss, vielen Dank für das Gespräch.

Fotos: Antje Holdefleiss


Bildquelle: Brigida Gonzalez

Projekte (d)

Der Anspruch einer ökologisch sensiblen Außenbeleuchtung setzte sich bei der Illuminierung des Magazinbaus mit seiner Fassade aus gefalteter Bronze fort. Zur strikten Vermeidung von Skyglow wurde in akribischer Abstimmung mit den Beteiligten und mittels nächtlicher Bemusterungen eine Streiflichtlösung mit Linealuce-Bodeneinbauleuchten erarbeitet. Foto: HG Esch

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