Antje Holdefleiss arbeitete als Architektin in Dublin und studierte berufsbegleitend den Postgraduate Master Architektur und Umwelt beim Fernstudienanbieter WINGS in Deutschland als ihr Berufsleben eine deutliche Wende nahm: Für ihre Masterthesis bekam sie die einmalige Chance, ein Jahr im westafrikanischen Ghana zu leben und ein nachhaltiges innerstädtisches Stadtquartier zu entwerfen.
Parallel baute sie ihre Erfahrungen in nachhaltiger Architektur in den Tropen an einem realen klimaschutzfreundlichen Projekt aus. Die 35-jährige Architektin half mit, in der Hauptstadt Accra die erste afrikanische Öko-Uni, die Valley View University (VVU) zu errichten. Heute ist Antje Holdefleiss in dem Schweizer Ingenieurunternehmen CSD Ingenieure als Beraterin tätig und arbeitet in der Berliner Niederlassung im Bereich Nachhaltiges Bauen.
Rolf Mauer sprach mit Antje Holdefleiss über Ihre Arbeit als Architektin in Ghana und die Chancen einer nachhaltigen Architektur in Afrika.
INTERVIEW
Rolf Mauer: Welche Bedeutung haben Ökologie und umweltbewusstes Bauen in einem afrikanischen Land wie Ghana?
Antje Holdefleiss: Die Menschen in Afrika spüren die positiven und auch negativen Umweltauswirkungen in ihrem Alltag hautnah. Abwasser- und Trinkwasserversorgung, Gesundheit, Landwirtschaft, Erosionsgefahren, Fruchtbarkeit der Böden, Hochwasserkatastrophen oder Energieengpässe sind nur einige der Themen, mit denen sie täglich zu kämpfen haben. Ihre Gesundheit leidet unter zum Teil prekären hygienischen Verhältnissen oder sie müssen täglich lange Wanderungen zurücklegen, um Trinkwasser und Brennholz zu besorgen.
Meiner Meinung nach ist das Wort »Umweltbewusstsein« daher nur ein relativer Begriff, wenn Europäer denken, sie gehen mit der Umwelt verantwortungsvoll um. Auf politischer Ebene ist natürlich anzuerkennen, dass die Umweltbewegung in Europa schon seit geraumer Zeit Einfluss üben konnte. In Deutschland sind beispielsweise viele Gesetzgebungen zum Umweltschutz wesentlich umfangreicher und werden besser kontrolliert als in Entwicklungsländern.
Rolf Mauer: Inwiefern ist die Valley View University in Ghana ein nachhaltiger Bau?
Antje Holdefleiss: Ich habe vor Ort in Accra hauptsächlich am Fakultätsgebäude der Valley View University (VVU) mitgearbeitet, das in einen ganzheitlich geplanten städtebaulichen Masterplan eingebettet ist. Langfristig vereint der Komplex alle Aspekte, die eine nachhaltige Entwicklung ausmachen, ohne jedoch dabei zukünftige Anpassungen – insbesondere an veränderte menschliche Bedürfnisse – zu behindern. Das ist beim nachhaltigen Städtebau ein wesentliches Grundprinzip. Das ganzheitliche Konzept zeigt sich an der VVU nicht nur daran, dass alle interdisziplinären Fachgebiete miteinander vernetzt, sondern auch die Menschen – die Nutzer, die Öffentlichkeit und sogar die ghanaische Politik – mit einbezogen werden.
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Fernsehbeitrag der Deutschen Welle über die Valley View University (VVU) und die Arbeit von Antje Holdefleiss
Rolf Mauer: Wie haben die Menschen, die dort leben, das ökologische Bauprojekt erlebt?
Antje Holdefleiss: Das Leben der Studierenden, Lehrenden und Angestellten der Valley View University hat sich mit dem ganzheitlichen Konzept in ganz vielen alltäglichen Situationen positiv verändert. Sie haben enorm an Lebensqualität hinzugewonnen. Die gepflanzten Bäume beziehungsweise die kühlende Vegetation sind natürlich nicht nur für das Mikroklima besonders wichtig, sondern sie spenden den Menschen in der Hitze auch Schatten und verschönern optisch vor allem den Campus. Die Studenten lernen heute zum Beispiel am liebsten unter den Schatten werfenden Bäumen oder auf den neu gebauten luftigen Verandas.
Der Campus verfügt über sehr große landwirtschaftliche Flächen, die in nachhaltige lokale Wasser- und Nährstoffkreisläufe eingebunden sind. Die Kreisläufe entstehen durch die Verwertung aller Rohstoffe, die in und an den Gebäuden des Campus anfallen. Viele von den Studenten haben auch ein Gemüsebeet, das nun durch geschlossene Nährstoffkreisläufe gedüngt wird; so müssen sie keinen Kunstdünger mehr kaufen. Die Biogasanlage liefert Biogas für die Kochherde der Mensa; damit haben wir die Kosten für den Gaskauf senken können. Die Photovoltaikanlage sorgt für eine stabile Stromversorgung in dem neuen Fakultätsgebäude, so dass ununterbrochen den Studierenden ein Internetzugang ermöglicht wird. Alle Gebäude sind nach einem intelligenten, architektonischen Konzept entwickelt, das eine natürliche Belüftung ermöglicht und eine Aufheizung der Räume verhindert. So wird ein angenehmes Raumklima ohne unbezahlbare Klimaanlage erzeugt.
Es bleibt jedoch die Frage offen, welches die zukunftsträchtigen Systeme sein werden, in die investiert werden sollte. Wir befinden uns im Zeitalter des Aufbruchs – was bedeutet, dass wir jetzt experimentell herausfinden müssen, welche Lösungen für die nachhaltige Bauweise am besten sind. Die Konzepte müssen sich in den kommenden Jahren erst einmal bewähren. In den nächsten zwei, drei Jahrzehnten werden wir erst mehr wissen und die verschiedenen Lösungsansätze besser bewerten können. Lösungen, die sich flexibel an zukünftige Anforderungen anpassen lassen, werden definitiv Bestand haben.
Rolf Mauer: Frau Holdefleiss, vielen Dank für das Gespräch.
Fotos: Antje Holdefleiss