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Thema Raumklima: Was in der Gebäudetechnik sträflich vernachlässigt wird

Fachartikel

 

Welche Auswirkungen hat das Raumklima in Gebäuden auf die Ausbreitung des Coronavirus? Unterstützen mechanische Lüftungsanlagen oder Klimaanlagen die Verbreitung von Viren in Gebäuden? Diese und weitere Fragen beantwortete Dr. med. Walter Hugentobler, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, im Gespräch mit Rolf Mauer, Chefredakteur der AZ/Architekturzeitung.

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INTERVIEW

Rolf Mauer: Herr Dr. Hugentobler, das Coronavirus hat die ganze Welt zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stillstand gezwungen. Wie konnte es so weit kommen? In jedem westlichen Staat gibt es Pandemiepläne, haben die geholfen oder hat unsere Planung versagt?

Walter Hugentobler: Alle Pandemiepläne weltweit gehen davon aus, dass die Luftübertragung von pandemischen Viren lediglich in speziellen Situationen im Spital (Intubation von Patienten, Bronchoskopien) eine Rolle spielt. Dabei haben die Gesundheitsbehörden (CDC und ECDC) bis in die 80iger Jahre in ihren Handlungsanleitungen zum Schutz des Pflegepersonals immer von drei möglichen Übertragungswegen gesprochen und dabei die Luftübertragung (aerogene oder Aerosol-Übertragung über grössere Distanzen) immer an 1. Stelle aufgezählt. Ohne dass diesbezüglich neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorgelegen hätten, wurde diese Ansicht ungefähr 1985 geändert.

Solange die Gesundheitsbehörden sich nicht rückbesinnen auf das was ihnen damals bekannt war und heute noch gilt und solange die schwierigen Aspekte der Luftübertragung in den Pandemieplänen nicht berücksichtigt werden, ist ein besserer Schutz nicht zu erwarten.

Ich habe das schon 2009 in einem Artikel in der Hausarztzeitschrift «PrimayCare» kritisiert.

Rolf Mauer: Warum kann sich das Coronavirus so erfolgreich verbreiten?

Walter Hugentobler: Es kommen dabei verschiedene Faktoren zusammen. Dieses Virus ist auffallend stabil und „überlebt“ sowohl auf Oberflächen als auch in der Luft auffallend lange. Zudem braucht es offenbar ganz geringe Dosen des Virus um uns krank zu machen. Die „Überlebenszeit“ des SARS-CoV2 Virus steigt zudem bei Zimmertemperaturen höchstwahrscheinlich mit fallender Luftfeuchtigkeit. Unsere geheizten, trockenen Innenräume bieten dem Virus ideale Bedingungen für die Ausbreitung über die Oberflächen und die Luft. Dass wir in den Städten und insbesondere in den Gebäuden eng beieinander leben und arbeiten erleichtert es dem Virus zusätzlich sich zu verbreiten.

Rolf Mauer: Verbreiten sich Viren in Gebäuden anders als im urbanen oder ruralen Raum? Wo findet man zurzeit die größte Sicherheit?

Walter Hugentobler: Die größte Sicherheit besteht im Freien, wo beim Einhalten der Distanzregeln eine Übertragung praktisch unmöglich ist. In den Gebäuden, wo wir immer wieder dieselben Gegenstände und Oberflächen berühren, kann sich das Virus über Hände und Gegenstände verbreiten. Das größte Problem aber bereitet der Umstand, dass wir in den Gebäuden mit allen anderen die Atemluft teilen, die über dieselbe Frischluftzufuhr versorgt werden. Sobald infizierte Personen anwesend sind, geben diese Viren an die Raumluft ab, durch Atmen, Sprechen und Husten. Da höchstwahrscheinlich auch bei SARSCoV2 einige wenige bis maximal einige Hundert Viren für eine Infektion ausreichen und wir pro Tag rund 13-15 Kubikmeter Luft atmen, ist die Möglichkeit gegeben, sich in geschlossenen Räumen anzustecken. Das fatale an der Luftübertragung ist der Umstand, dass Luft als Überträgermedium gleichzeitig risikobehaftet und lebensnotwendig ist.

Rolf Mauer: Die verschiedenen Generationen unserer Gesellschaft sind in der aktuellen Pandemie unterschiedlichen Risiken unterworfen, Ältere sind gefährdeter als junge Menschen. Sollten jüngere Menschen andere Strategien anwenden als Ältere um gesund zu bleiben? Wie sollten sich die Generationen verhalten?

Walter Hugentobler: Die Älteren sind die hauptsächlich Gefährdeten, die Jungen in erster Linie die Verbreiter des Virus. Nötig ist Solidarität zwischen den Generationen. Deshalb sollten sich alle an die Regeln der Behörden halten, die Jungen letztlich auch aus Solidarität zu den Älteren und den Beschäftigten im Gesundheitswesen, die die Hauptlast des Risikos und der emotionalen Belastung tragen.

Rolf Mauer: Zu welchen Ergebnissen kommen ihre universitären Studien an der Yale Universität?

Walter Hugentobler: Frau Prof. Iwasaki ist die Leiterin der Immunologie an der Yale Universität und hat die Studien mit ihrem Team gemacht, auf denen die Aussagen über die Immunologie in der Studie beruhen. Ich habe meine Expertise eingebracht in Bezug auf die Physiologie des Menschen, Gebäudephysik und Gebäudetechnik, meine Kenntnis der älteren und neueren Literatur über die Zusammenhänge von Gebäudeklima und unserer Gesundheit sowie meine hausärztliche Erfahrung aus 25 Jahren Praxistätigkeit. Die Ergebnisse wurden von mir in der Zusammenfassung aufgelistet. [Link zur Zusammenfassung]

Rolf Mauer: Bei niedriger Luftfeuchte steigt das Risiko einer Grippeinfektion deutlich. In Gebäuden mit mechanischen Lüftungsanlagen ist die Raumfeuchte häufig gering, wenn nicht gegengesteuert wird. Welche Maßnahmen gilt es zu treffen?

Walter Hugentobler: Die Antwort ist komplex und kann nicht in wenigen Worten erklärt werden. Kurz: Luftwechsel sind gut, mittlere Luftfeuchtigkeit ist notwendig. Unglücklicherweise bedeuten höhere Luftwechselraten im Winter trockene Luft. Wo das optimale Gleichgewicht liegt wissen wir bis heute nicht, da der Aspekt der Luftfeuchtigkeit bisher in der Gebäudetechnik sträflich vernachlässigt wurde. Zudem hängt die Fragestellung auch zusammen mit der Gebäudephysik, den gewählten Baumaterialien und unseren falschen Vorstellungen von den Mikroben.

Mehr darüber erfahren sie in der Broschüre "Lowtech im Gebäudebereich" [Link]. Ich verweise auf die nachfolgend dargestellte Folie 11.

Folie 11
Folie 11


Die Folie 13 (unten) und die nachfolgenden Folien zeigen Ihnen, wie komplex die Zusammenhänge sind. 

Folie 13
Folie 13


Rolf Mauer: Mechanische oder natürliche Befeuchtungsmethoden stehen aus hygienischen Gründen (Verkeimung) in der Kritik. Welche Gerätetypen für eine ergänzende Luftbefeuchtung können Sie für Privatgebäude, Geschäftsgebäude oder für Innenräume mit Risikogruppen (Altenheim/Krankenhaus) empfehlen?

Walter Hugentobler: Die einzige hygienisch unproblematische Befeuchtung geschieht mit Verdampfern. Verwenden Sie einen Luftbefeuchter der bei der Hygieneprüfung gute Resultate erzielt hat und halten sie die Wartungsvorschriften ein. Die hygienische Pflege eines Luftbefeuchters ist relativ zeitaufwändig. Falls der Luftbefeuchter über keinen eingebauten Hygrostat verfügt, erreichen sie kontrollierte Luftfeuchtigkeit am besten, indem sie die Stromzufuhr des Luftbefeuchters über einen Steckdosen-Hygrostat laufen lassen (im Fachhandel erhältlich). Die Hygienevorschriften des Luftbefeuchters unbedingt beachten. Die Feuchte-Grenzwerte 40 bis 60% einhalten!

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Rolf Mauer: Welches Raumklima sollten wir in unseren privaten und geschäftlichen Gebäuden vorhalten? Welches Raumklima empfehlen Sie für Altenheime oder Krankenhäuser?

Walter Hugentobler: Eine Luftfeuchtigkeit von 40 bis 60% sollte eingehalten werden. Das ist in den meisten Gebäuden ohne aktive Befeuchtung nicht zu erreichen. Seien sie zurückhaltend mit den Heiztemperaturen, 20 bis 22 °C sollten nicht überschritten werden. Die gleichen Grenzen gelten für Altersheime und Spitäler.

Rolf Mauer: Welchen Beitrag können wir Architekten und Ingenieure in der aktuellen Krise leisten?

Walter Hugentobler: Die Antworten ergeben sich aus den bereits gezeigten Folien 11 - 13 und den nachfolgend dargestellten Folien 14 - 15. Meine Hauptforderung an die Architekten: lösen sie die Klimatisierung der Gebäude wieder soweit wie möglich mit architektonischen Mitteln dann wird die Qualität unsere Gebäude wieder besser werden. Verzichten sie auf Billigkopien von teuren „Imponier-Gebäuden“.

Folie 14Folie 14

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Folie 15


Rolf Mauer:Welchen Beitrag können Planer leisten, um Gebäude zu bauen, die der Gesundheit zuträglich sind und auch die Ausbreitung einer künftigen Epidemie erschweren?

Walter Hugentobler: Das Wichtigste findet sich in der oben gezeigten Folie 11: „Die Gebäudefachleute sind bisher der Meinung, dass die Trockenheit von Gebäudematerialien und Raumluft eine unschädliche und wirksame Prävention sei gegen Schimmel- und Bakterienwachstum. Dass das Unterschreiten von 40% relativer Feuchte negative Auswirkungen hat, wird bis heute nicht ernst genommen. Dabei erleben wir in jeder Heizperiode die Auswirkungen als Grippewellen und einen Anstieg der Atemwegsinfektionen, ohne dass der Zusammenhang ernsthaft hinterfragt würde. Mikroben in Aerosoltröpfchen sind in der Luft und auf den Oberflächen bei tiefer Luftfeuchtigkeit vor der Inaktivierung geschützt.“

Rolf Mauer: Herr Dr. Hugentobler, vielen Dank für das Gespräch.


walter hugentoblerWalter J. Hugentobler, Dr. med., Hausarzt

Medizinstudium an der Universität Zürich. 1978-1985 Promovierung und Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeine Innere Medizin. 1985-2012 Leitung einer allgemeinmedizinischen Arztpraxis. 1995-2018 Lehrarzt Allgemeine Medizin am Instituts für Hausarztmedizin, Universität Zürich.

Seit 2013 Akademischer und Medizinischer Berater von Condair AG. Dreissigjährige praktische Erfahrung mit den Interaktionen zwischen Innenraumklima, Gebäude und unserer Gesundheit. Zahlreiche Publikationen in medizinischen und technischen Journalen, Präsentationen und Lehrveranstaltungen. Projekt-Partner verschiedener Forschungsgruppen. Einige seiner Publikationen sind verfügbar über folgenden Link zu Linkedin: www.linkedin.com/dr-med-walter-hugentobler

„Seasonality of Respiratory Viral Infections“, Miyu Moriyama, Walter Hugentobler, Akiko Iwasaki doi.org/10.1146/annurev-virology
Zusammenfassung: Jahr für Jahr nehmen im Winterquartal die infektiösen Atemwegserkrankungen ein epidemisches Ausmass an, allen voran die saisonale Grippe. Unzählige Studien haben aufgezeigt, dass in unserem gemässigten Klima der tiefe absolute Wassergehalt der kalten Winterluft der Auslöser ist für den Anstieg der Infektionsraten. Da die allermeisten Menschen sich heute zu rund 90% ihrer Lebenszeit in geschlossenen Räumen (Gebäude, Verkehrsmittel) aufhalten und wir auch dort miteinander Kontakte pflegen, muss der ursächliche Faktor für die saisonalen Erkrankungen im Innenraumklima begründet sein. Der Auslöser «trockene Winterluft» führt in den geheizten Innenräumen im Winter regelmässig zu sehr tiefer relativer Luftfeuchtigkeit, dem ursächlichen Faktor der Erkrankungen. Es ist die sehr tiefe Luftfeuchtigkeit unterhalb von 40%, die es den Viren ermöglich, uns gegenseitig anzustecken, da sie ein langes Überleben der Viren in der Luft und auf den Oberflächen ermöglicht. Gleichzeitig schwächt die trockene Luft zusammen mit weniger Tages- und Sonnenlicht unser gestaffeltes Abwehrsystem gegen Infektionen. Die trockenen Schleimhäute in Nase und Bronchien behindern die Selbstreinigung der Atemwege und gleichzeitig werden die angeborene und erworbene Immunität und die Reparaturvorgänge weitgehend ausgeschaltet.

 


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