Die Architektur der neuen Musikschule im lettischen Ventspils kombiniert eine facettenreiche Ästhetik mit hoher Funktionalität, sowohl hinsichtlich der Gebäudehülle als auch was die Raumaufteilung angeht. Doch nicht nur die Architektur ist etwas Besonderes, beachtenswert ist ebenso die Lüftungstechnik. Denn in dem Objekt wurden natürliche Lüftung und Zentrallüftung mit bedarfsorientiert eingesetzten, dezentralen Fassadenlüftungsgeräten kombiniert. Das eröffnet viele Möglichkeiten und erlaubt zum Beispiel in den Übungsräumen einen sehr leisen Betrieb.
„Die neue Musikschule in Ventspils ist der Beweis, dass die frühe Zusammenarbeit von technischem Planer und Architekt zu ästhetischen, nutzerfreundlichen und höchst effizienten Gebäuden führen kann.“, sagt David Cook. Foto: Adam Mork
Mit ihrer neuen Musikschule, die nach zwei Jahren Bauzeit im Sommer 2019 eröffnet wurde, hat die lettische Stadt Ventspils einen außergewöhnliches Bildungsbau und einen vielseitig nutzbaren Konzertsaal gewonnen. Umgeben von der Grünanlage „Lielais Laukums“ mit ihrem preisgekrönten Wasserspiel kommt die im wahrsten Sinne des Wortes vielseitige Architektur des Objekts perfekt zur Geltung: David Cook, Partner und Mitbegründer des Stuttgarter Büros haas cook zemmrich STUDIO2050, entwarf für die Musikschule einen vieleckigen, dreigeschossigen Baukörper, geprägt von einer einzigartigen, mehrfach gefalteten Dachlandschaft.
Erscheinungsbild ändert sich mit dem Tageslicht
Die Beschaffenheit und Farbigkeit der Baumaterialien betont die Gebäudehülle. Die Fassade setzt sich aus stark profilierten Keramikplatten zusammen, die einen effizienten Wetterschutz bieten. Sie wirken je nach Plattenorientierung und Lichteinfall anders, was die Fassade vielgestaltig macht. Die dunkle Glasur der Platten kontrastiert hervorragend mit dem goldenen Dach und hebt es dadurch optisch hervor.
Rund 600 Besucher fasst der Konzertsaal; zudem bietet die Musikschule neben vielen Schulungsräumen zum Beispiel einen kleinen Theatersaal und eine Musikbibliothek. Foto: Lauris Aizupietis (fotogloria)
Schule, Konzert- und Theatersaal unter einem Dach
In dem Gebäude finden auf etwa 8.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche Übungsräume verschiedener Größe, ein Foyer, ein kleiner Theatersaal, eine Musikbibliothek und ein Konzertsaal Platz. Der Konzertsaal hat 600 Sitzplätze und wurde von Müller-BBM (München) sowohl für Musikdarbietungen mit und ohne Orgel als auch für Sprechtheater und elektroakustisch verstärkte Konzerte akustisch optimiert. Eine Besonderheit ist, dass Glasflächen im Dach dem innen liegenden Konzertsaal zu Tageslicht verhelfen, was beispielsweise Musikproben ohne eine künstliche Beleuchtung gestattet. Bei Konzerten können diese Oberlichter, falls gewünscht, vollständig abgedunkelt werden.
Sonnenlicht spielt auch in anderen Bereichen der Musikschule eine wichtige Rolle, zum Beispiel zum Hervorheben der Innenarchitektur im Foyer. Dort betont das Tageslicht die freigeformten Flächen, die von der Flächigkeit rechtwinkliger Funktionsbereiche ablenken. So ergibt sich je nach Lichteinfallsrichtung ein anderes Ambiente.
Hohe Anforderungen an die Energieeffizienz
Hohe Anforderungen stellte die Stadt Ventspils nicht nur an die Ästhetik und Funktionalität, sondern ebenso an die Energieeffizienz der neuen Musikschule. Die ressourcenschonende Auslegung sorgt für niedrige Betriebskosten, schützt das Klima und ermöglichte Zugang zu EU-Fördergeldern. Aufgrund der umgesetzten Maßnahmen gehört die neue Musikschule zu den energieeffizientesten öffentlichen Gebäuden Lettlands. Um diesen hohen Standard zu erreichen, war ein Bündel an Maßnahmen erforderlich.
Um die Kühllast im Sommer gering zu halten, bieten alle Fenster Verschattungsmöglichkeiten. Foto: Adam Mork
Die Gebäudehülle ist wärmedämmend und entspricht dem deutschen Passivhausstandard. Zur geringen Wärmetransmission trägt unter anderem eine Dreifachverglasung in Form von Kastenfenstern bei. Um die Kühllast im Sommer gering zu halten, bieten alle Fenster Verschattungsmöglichkeiten. Die großen Glasfronten des Foyers können über innenliegenden Rollos verdunkelt werden, die fassadenseitig angeordneten Räume – zum Beispiel die Klassen- bzw. Übungsräume – verfügen über Lamellen, die vor der Dreifachverglasung angebracht und durch eine vierte Glasscheibe vor Wind geschützt sind. Die weitgehende Nutzung von Tageslicht, auch in den innen liegenden Räumen wie dem Konzertsaal, minimiert den Kunstlichtbedarf und steigert das Wohlbefinden der Gebäudenutzer.
Ressourcenschonendes Heizen, Kühlen und Lüften
Ein wesentlicher Pfeiler der von der Stadt Ventspils geforderten Energieeffizienz ist das von Transsolar KlimaEngineering in enger Abstimmung mit dem Architekten entwickelte Konzept zum Lüften, Heizen und Kühlen der Musikschule. Zur Minimierung des Wärmebedarfs trägt neben den passiven Maßnahmen die Wärmerückgewinnung in den Lüftungsanlagen bei. Wärme oder Kälte stellt eine Geothermieanlage mit reversiblen elektrischen Wärmepumpen bereit. Nur bei winterlichen Bedarfsspitzen liefert auch das Nahwärmenetz der Stadt Energie. Zur effektiven Wärmeeinbringung ist teilweise eine Fußbodenheizung eingebaut. Sie gibt die Wärme effizienter in den Raum ab, als dies beim Heizen über Zuluft möglich wäre, und funktioniert auch im Zusammenspiel mit einer natürlichen Lüftung.
Die Fassadenlüftungsgeräte FVPpulse von LTG benötigen nur eine Fassadenöffnung, denn sie ahmen die Atmung nach: Sie fördern für einige Sekunden Luft in den Raum, danach führen sie einige Sekunden lang Luft nach außen. Die Lüftungsgeräte können autark arbeiten oder an eine Gebäudeleittechnik angebunden werden. Grafik: LTG
Um die Energieeinsparmöglichkeiten bei der Lüftung auszureizen, wurden in der Musikschule hybride Lüftungssysteme umgesetzt. Diese kombinieren die natürliche Lüftung mit einer zentralen und dezentralen Lüftungslösung. Wenn möglich, kommt die natürliche Lüftung zur Anwendung. Die natürliche Lüftung der großvolumigen Innenbereiche und des Foyers wird durch die Ausrichtung des Gebäudes nach den vorherrschenden Windverhältnissen und die entsprechende Anordnung der Frischluftkanäle (Erdkanäle) und deren Ansaugstellen begünstigt.
Hybridkonzept gestattet die natürliche Lüftung
Zur Luftumwälzung in den Kernbereichen tritt frische Luft in einen Verbund von fünf Betonrohren (Erdkanäle), die unter dem Gebäude liegen. In den Rohren wird die Luft vor dem Eintritt ins Gebäude vom Erdreich im Sommer gekühlt bzw. im Winter erwärmt. Danach strömt die gefilterte und ggf. nachträglich temperierte, frische Luft ins Gebäude und kommt dem Foyer, den Sälen und Flurbereichen zugute. Verbrauchte Luft wird unterm Dach abgesogen, wobei die Dachgestaltung die natürliche Entlüftung fördert. In den fassadenseitigen Räumen ist der natürliche Luftaustausch über Lüftungsöffnungen in der Glasfront möglich.
Wirkung des FlowGrid auf den Schalldruckpegel des Ventilators am Beispiel eines Axialventilators: Durch die bessere Anströmung wird der Pegel um mehrere Dezibel gesenkt. Grafik: ebm-papst
Zentrallüftung für Konzertsaal und Foyer
Anstatt der natürlichen Lüftung kommt die mechanische Lüftung zum Einsatz, wenn dies wegen eines höheren Luftbedarfs erforderlich ist, etwa bei einer Publikumsveranstaltung, oder wenn die natürliche Lüftung in den fassadenseitigen Übungsräumen nicht sinnvoll ist – zum Beispiel weil von draußen zu kalte Luft hereinkommt oder störende Außengeräusche ausgesperrt werden sollen. Die innen liegenden Räume wie die Säle, das Foyer oder das Instrumentenlager werden dann von einer Zentrallüftung bedient, die bis zu 85 Prozent der in der Abluft enthaltenen Wärme für die Zuluft verfügbar machen kann. Die geförderten Luftmengen orientieren sich am aktuellen Bedarf.
Individuell regelbare, dezentrale Fassadenlüftungsgeräte
Für die fassadenseitigen Räume entschied sich die Stadt Ventspils auf Empfehlung von Transsolar für dezentrale Fassadenlüftungsgeräte. Sie bieten gegenüber einer Zentrallüftung mehrere Vorteile. Der in diesem Fall wichtigste war die Vermeidung von Telefonieschall, denn über die Lüftungskanäle wären sowohl Geräusche der Lüftungstechnik selbst in die Räume gelangt als auch Schall aus den Nachbarräumen oder Fluren. Zudem würde ein Erschließen der Räume mit einer Zentrallüftung ein Kanalnetz erfordern, das Platz beansprucht und den nutzbaren Raum – zum Beispiel in den Fluren – verringert hätte.
Damit frische Luft vortemperiert wird, gelangt sie über lange, unterirdische Rohre in das Gebäude. Das verringert die Heiz- oder Kühllast. Grafik: Transsolar
Ein weiterer Vorzug der dezentralen, raumweisen Lüftung ist außerdem, dass sich jeder Raum individuell und bedarfsgerecht natürlich oder mechanisch lüften lässt. So kann zum Beispiel in dem einen Übungsraum die natürliche Lüftung zum Einsatz kommen, im Nachbarraum die mechanische Lüftung. Die Luftmenge stellen die Fassadenlüftungsgeräte genau passend für den jeweiligen Raum bereit. Wie hoch der aktuelle Bedarf ist, erkennt die Regelungstechnik anhand von CO2-Sensoren. Die Raumtemperatur lässt sich ebenfalls individuell für jeden Übungsraum in einem vorgegebenen Bereich einstellen. Für das passende Temperieren sorgen in den dezentralen Lüftungsgeräten eingebaute Wasser-Luft-Wärmetauscher.
„Atmende“ Geräte ahmen die natürliche Lüftung nach
Als dezentrale Lüftungsgeräte kommen in der Musikschule ca. 80 LTG-Geräte des Typs FVPpulse für den Einbau im Doppelboden zum Einsatz. Sie haben gegenüber konventionellen Fassadenlüftungsgeräten den Vorzug, dass sie prinzipbedingt mit eine Fassadenöffnung benötigen, denn sie arbeiten wechselweise im Zu- und Abluftbetrieb. Der Wechsel zwischen „Ein- und Ausatmen“ der Geräte erfolgt etwa alle 15 bis 20 Sekunden und wird über ein Klappensystem gesteuert. Der Rhythmus lässt sich den Anforderungen entsprechend anpassen, zum Beispiel um die Wirkung der im Gerät integrierten Wärmerückgewinnung im Winterbetrieb zu steigern.
Das zyklische Ein- und Ausatmen der Geräte bietet Vorteile aus energetischer Sicht, denn im Gerät kann statt zweier separater Luftwege für Zu- und Abluft ein größerer, gemeinsamer Kanal genutzt werden. Das minimiert die internen Druckverluste, sodass der Ventilator in der Regel mit deutlich unter 20 Watt Stromaufnahme auskommt. Darüber hinaus kommt eine hocheffiziente Wärmerückgewinnung mit einem Wirkungsgrad von fast 90 % zum Einsatz.
Die instationäre Betriebsweise hat noch einen zweiten Vorteil: Sie bewirkt eine hochinduktive, pulsierende Raumströmung und in Folge eine gute Vermischung der Zuluft mit der Raumluft. Dadurch werden Temperaturdifferenzen schnell abgebaut, ohne dass es zu Zuglufterscheinungen kommt. Dies wird von den Raumnutzern als angenehm und sehr natürlich empfunden.
Edgars Šifers, der technische Direktor der Musikschule Ventspils, hat die Werte der Lüftung am Notebook im Blick. Foto: Lauris Aizupietis (fotogloria)
Geräteregelung raumindividuell oder im Verbund
Die LTG-Geräte stellen im Normalbetrieb bis zu 120 m³/h bereit. Bei Räumen mit einer Belegung bis zu vier Personen können sie somit 30 m³/h Luft pro Anwesenden liefern; bei größeren Klassenzimmern sind mehrere Geräte eingebaut. Außerdem können die Geräte FVPpulse unidirektional mit bis zu 240 m³/h Luftdurchsatz betrieben werden, beispielsweise um in den Sommernächten möglichst viel kühle Nachtluft durch die Räume zu leiten und den Bedarf an Klimakälte zu verringern. In der Musikschule kommen hierfür zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder fördern die dezentralen Geräte die Luft in die Räume und die Abluft entweicht über 0,5 Quadratmeter große, akustisch gedämmte Überströmöffnungen in den Zentralbereich und von dort über die Abluftklappen im Deckenbereich nach draußen. Oder ein Teil der Geräte liefert Zuluft, schiebt die Abluft über die Überströmöffnungen in den Flur und der andere Teil der Geräte zieht die Luft wieder aus den Fluren heraus und fördert sie fassadenseitig nach draußen.
Leiser Betrieb wurde bei Labortest attestiert
Selbstverständlich wurde bei der Konzeption der verschiedenen Übungsräume ebenfalls auf eine gute Akustik und die Vermeidung störender Geräusche geachtet. Daher sind die Trennwände zwischen den Musikunterrichtsräumen nicht parallel angeordnet – das vermeidet störende Schallreflexionen durch stehende Wellen – und die Räume sind mit schallabsorbierenden Textilien ausgestattet, damit eine der Nutzung entsprechende Nachhallzeit vorhanden ist. Sichergestellt wurde außerdem, dass die Fassadenlüftungsgeräte FVPpulse einen ausreichend niedrigen Störschall verursachen. Sie wurden vor dem Einbau im Labor vermessen und die Ergebnisse von Müller-BBM abgenommen. Damit kein Körperschall von den LTG-Geräten auf den Fußboden übertragen wird, achteten die Planer darauf, einen kleinen Abstand zwischen Gerätedeckel und dem Boden vorzusehen.
Building Management System schafft Transparenz
Die in der Musikschule umgesetzte Kombination aus natürlicher sowie zentraler und dezentraler mechanischer Lüftung ermöglicht dem Gebäudebetreiber, eine bedarfsorientierte Lüftung mit Priorisierung der natürlichen Lüftung umzusetzen. Damit Haustechnik und Haustechniker aus dem Betrieb lernen können, hat Transsolar den Einbau eines umfassenden Building Management Systems (BMS) vorgeschlagen. Das BMS wertet Wetterdaten, Sonnenintensität sowie die Raumtemperaturen, CO2-Konzentrationen und die Luftfeuchtigkeit aus. Anhand von historischen Daten können die Betreiber die Energieeffizienz des Gesamtsystems optimieren. Die vielen Möglichkeiten der Heizungs-, Klima- und Lüftungstechnik setzen ihnen hierbei quasi keine Grenzen.