Mit »Architektonika« hat der Hamburger Bahnhof in Berlin mehr als zwei Jahre lang einen Teil seiner Ausstellungsfläche der Kunst und Architektur gewidmet: Ab September 2011 wurden in zwei aufeinanderfolgenden Ausstellungen Arbeiten mit architektonischen Bezügen aus der Friedrich Christian Flick Collection und den Sammlungen der Nationalgalerie sowie mit Leihgaben und einigen eigens geschaffenen Objekten präsentiert – zunächst mit einem Schwerpunkt auf architektonischen Skulpturen und skulpturaler Architektur (Architektonika 1, 15.9.11 – 12.2.12), danach mit Blick darauf, wie Architektur den städtischen Raum bestimmt und in diesen hineinwirkt (Architektonika 2, 5.4.12 – 13.1.13).
Begleitend ist eine dokumentarische Katalogpublikation erschienen – allerdings, untypischerweise, erst zum Ende der Ausstellungen im Winter 2012. Dadurch kann sie leisten, was vielen Katalogen, die vorproduziert werden, nicht möglich ist: Die Abbildungen zeigen nahezu ausschließlich Aufnahmen aus der Installation im Hamburger Bahnhof und auch die sieben begleitenden Texte nehmen engen Bezug auf diese Inszenierungen.
Überhaupt die Texte: Wort- und Bildanteil halten sich gefühlt die Waage, die Publikation ist mehr Buch denn Katalog und bietet eine Fülle an Informationen – allerdings sind die Beiträge immer zweisprachig vorhanden und damit gewissermaßen verdoppelt. Auch das Format ist mit etwas weniger als Din A4 ein kleines, handliches, kein »Coffee Table Book«.
Die sieben Autoren beleuchten unterschiedliche Facetten zum Thema. Die Beiträge der beiden Kuratorinnen, Gabriele Knapstein und Mathilda Felix, schreiben erwartungsgemäß über die Ausstellungen selbst. Vor allem Knapstein umschreibt die Besonderheiten des gewählten kuratorischen Konzepts in zwei Teilen und bietet eine konzentrierte Schilderung der historischen Entwicklungen der Verbindungen zwischen Kunst und Architektur, um dann gezeigte Exponate in diesen Kotext einzuordnen. Hier findet der interessierte Leser insbesondere auch eine Fülle an thematisch relevanter, weiterführender Literatur.
Die Co-Kuratorin Matilda Felix hingegen konzentriert sich auf die Darstellung einer »Unter-Rubrik« der Ausstellung: Tatsächlich wurde die Inszenierung der Kunst in den Ausstellungshallen unterbrochen durch eine kabinettartige Präsentation von Architektur. In diesen Exkursen wurden Beispiele moderner Architekten vorgestellt, die sich ihrerseits mit ihren Entwürfen und Konzepten zwischen Kunst und Architektur bewegen. Dass deren mittlerweile historische Fragestellungen dabei durchaus noch aktuell sind, zeigt Felix, indem sie Bezüge zu verschiedenen Kunstprojekten der Schau herstellt.
Zwei weitere Beiträge widmen sich ausführlicher der Auseinandersetzung mit konkreten künstlerischen Positionen unter bestimmten Blickwinkeln (Friederike Wappler: Unheimliche Orte oder: Fallen des Imaginären. Über wiederkehrende Vergangenheit in den Arbeiten von Thomas Struth, Rachel Khedoori und Stan Douglas; Christine Nippe: Ikonografie des Übergangs. Der Palast der Republik in der Kunst von Sophie Calle, Nina Fischer & Maoran el Sani und Thomas Florschuetz). Hinzu kommt ein Gespräch von Andres Lepit mit Marjetica Potrč über die Zukunft der Stadt, modernistische Stadtplanungen und deren Folgen sowie über zukünftige Modelle der Arbeit mit urbanem Raum.
Besondere Erwähnung haben aber vor allem zwei Gastbeiträge von Anthony Vidler und Jane Rendell verdient. Mit Vidler hat sich der Hamburger Bahnhof einen beachtlichen Namen mit an Bord geholt. Sein Essay »Architecture’s Expanded Field« wurde allerdings schon 2008 in »Architecture Between Spectacle and Use« erstmals veröffentlicht (wodurch er natürlich nicht minder aufschlussreich ist).
Die britische Autorin Jane Rendell hingegen, deren Arbeit »interdisciplinary intersections between architecture, art, feminism and psychoanalysis« erforscht, so ihre Selbstdarstellung (www.janerendell.co.uk), und die 2006 eine Publikation zu »Art and Architecture« veröffentlicht hat, beschreibt einen persönlichen Rundgang durch beide Ausstellungen und widmet sich den »double takes«: Eine Besonderheit der beiden Schauen war es, dass einige Arbeiten in beiden Präsentationen gezeigt wurden, sich dabei jedoch ihre jeweilige »Umgebung« verändert hat. Durch die Kombination mit anderen künstlerischen Positionen schaut man buchstäblich »zweimal hin« – in diesem »doppelten Hinschauen« (double take) eröffnen sich neue Facetten der inhaltlichen Wahrnehmung.
Insgesamt dürften gerade Leser, die sich für die Verbindung von Kunst und Architektur interessieren (aber natürlich nicht nur!), besondere Freude an »Architektonika« haben. Zwar liegt der Fokus der Ausstellungen auf etablierten Positionen der vergangenen dreißig Jahre. Es lassen sich dabei jedoch einige Entdeckungen machen, denn neben »Altenbekanntem« findet sich auch einiges, das man in diesem Kontext nicht unbedingt erwartet hätte. Klar wird dadurch aber auch, dass die Auswahl der Exponate in erster Linie thematisch getroffen wurde, die Beschäftigung mit der Architektur zieht sich nicht bei allen Künstlern durch das gesamte Schaffen.
Zudem mag der ein oder andere den starken Fokus auf die Ausstellungen auch als ein wenig störend empfinden (zumal die Präsentationen bei Erscheinen fast vorbei sind). Insgesamt ist dies jedoch eher von Vorteil und passt ins kuratorische Vermittlungskonzept: Statt allgemeiner Überlegungen hat der Leser »Konkretes« vor sich. In der Publikation begegnen verschiedene Arbeiten, punktuelle Inszenierungen, die in einem eindeutigen Rahmen miteinander in Bezug treten. Dadurch sind – in der Ausstellung ebenso wie in Publikation - »Begegnungen« möglich, die zu weiterer Auseinandersetzung und Vertiefung einladen. »Architektonika« zeigt, dass der thematische Blick auf die Verdingung von Architektur und Kunst überraschende Fülle von Herangehensweisen, Fragestellungen, Lösungsmöglichkeiten bietet.
Quelle: www.deconarch.com