Architekten, Innenarchitekten und Architekturkritiker aus über zehn europäischen Ländern und Übersee (USA, Kanada und China) trafen sich vor wenigen Wochem in Schwarzenfeld zum Tile Award Symposium, das von Agrob Buchtal, einem Anbieter von Architekturkeramik initiiert wurde. Die Konferenz mit dem Titel »standard versus custom-made« beleuchtete die Rolle von Standardprodukten und Sonderlösungen in der Architektur. Wesentlicher Bestandteil des Tages waren Pecha-Kucha-Vorträge junger, innovativer Architekten. Ein Highlight neben Diskussionsrunden und informellen Gesprächen bildete die Hauptrede des Architekten Alejandro Zaera-Polo.
Marktorientierung und Nähe zu relevanten Zielgruppen sind essentiell für die Industrie. Agrob Buchtal als einer der wenigen Architekturkeramik-Spezialisten weltweit organisierte daher das Tile Award Symposium 2013 zur Vertiefung des Dialogs mit Planern. Ziel war, die Vorstellungen von Planern bereits bei der Entwicklung von Standardprodukten zu berücksichtigen und zudem maßgeschneiderte Sonderfertigungen zu offerieren. Das Thema Standard- oder Individuallösungen ist für Architekten und Lieferanten bedeutsam, da aus diesen beiden Produktkategorien Konsequenzen resultieren, etwa in Bezug auf Lieferzeit, Logistik oder Wirtschaftlichkeit.
Eine Auswahl an Projekten, deren Fassaden in Keramik ausgeführt wurden:
Obwohl bei der Wahl des Konferenztitels ganz bewusst ein Gegensatz zwischen Standard- und Sonderlösungen hergestellt wurde, machten viele Präsentationen und die anschließende Diskussion deutlich, dass eine scharfe Abgrenzung zwischen beiden Kategorien nur in den seltensten Fällen möglich ist. Der Moderator der Symposiums, Hans Ibelings, eröffnete die Fachtagung mit dem Hinweis auf die Mehrdeutigkeit der Begriffe Standard und Sonderlösung. Je nach Kontext und Sprache kann der Begriff Standard eher negativ behaftet sein als Gegenteil von Individualität oder positiv im Sinne von »Maßstäbe (Standards) setzen«. Umgekehrt werden Individuallösungen oft mit hoher Qualität gleichgesetzt. Hans Ibelings verdeutlichte jedoch anhand eines Vergleichs zwischen maßgeschneiderten orthopädischen Schuhen und modischer Fußbekleidung »von der Stange«, dass Sonderanfertigungen aber auch Kompromisse darstellen können, die aus ästhetischer Sicht nicht immer ideal sind. Auch etliche Pecha-Kucha-Vorträge stellten den kategorischen Gegensatz zwischen beiden Begriffen infrage und zeigten, dass Standard- und Sonderlösungen oft fließend ineinander übergehen oder einander überlappen. Darüber hinaus legten einige Redner überzeugend dar, wie man Standarderzeugnisse kreativ in individuelle Designlösungen einbinden kann, während andere Referenten illustrierten, dass auf Standards basierende Projekte durch Sonderlösungen ergänzt und aufgewertet werden können.
Pecha-Kucha ist eine Vortragsform, die in Japan entwickelt wurde. Diese Präsentationen beschränken sich auf 20 Schaubilder, die jeweils 20 Sekunden gezeigt und erläutert werden. Solche nur knapp sieben Minuten langen Kurzreferate sind eine Herausforderung für die Vortragenden und die Jury. Die Jurorinnen, die die Beiträge bewerteten:
- Manuelle Gautrand (Manuelle Gautrand Architecture, Frankreich),
- Ushi Tamborriello (Ushi Tamborriello Innenarchitektur & Szenenbild, Schweiz),
- Sabine Krumrey (b-k-i brandherm + krumrey interior architecture, Deutschland),
- Kristina Bacht (Ges. für Knowhow-Transfer in Architektur u. Bauwesen, Deutschland)
Unter Berücksichtigung der Kriterien Kreativität, Inhalt und Präsentationsstil kürte das Gremium mit folgenden Begründungen die drei gleichberechtigten Gewinner:
- Albuquerque Goinhas (Embaixada Arquitectura, Portugal) für seinen originellen künstlerischen Ansatz
- Chris Precht (Penda, Österreich/China) für seine architektonisch-konzeptionelle Stringenz
- Agata Woźniczka (BudCud, Polen) für ihre gelungene Mischung aus Philosophie und Architektur.
Agata Woźniczka, BudCud Polen Agata Woźniczka besuchte die Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Technischen Universität Breslau und schloss ihr entsprechendes Studium mit Auszeichnung ab. Nach einem Studienaufenthalt in Madrid und Mitarbeit in verschiedenen Büros (WWAA, Bjarke Ingels Group) wurde sie 2010 geschäftsführende Teilhaberin des Büros BudCud, das sie zusammen mit Mateusz Adamczyk leitet. Ihre Projekte sind logische, professionelle Ausarbeitungen einer besseren, nachhaltigen und zeitgenössischen Realität, gestaltet für zukünftige Nutzer und Bewohner, die von ihrer neuen Umgebung profitieren. Die Entwürfe von BudCud basieren auf der kontinuierlichen Weiterentwicklung eines rationalen Ansatzes, der geprägt ist vom jeweiligen Kontext und von Experimentierfreude, nachdem die Welt vielschichtig und facettenreich ist. Agata Woźniczka schreibt auch über Architektur für die beiden polnischen Fachzeitschriften »Architektura & Biznes« und »Architektura - Murator«, leitet Studenten-Workshops und hält Vorlesungen. |
Chris Precht, Penda, Österreich / China Chris Precht absolvierte einen Bachelor-Studiengang in Architektur an der Technischen Universität Innsbruck und schloss sein Studium an der Technischen Universität Wien Anfang 2013 mit Auszeichnung ab. Von 2008 bis 2010 arbeitete er als leitender Entwurfsarchitekt für NOX Lars Spuybroek in Rotterdam und Graft in Peking. Seit 2010 ist Chris Precht der Leiter des Design-Ateliers Prechteck. 2012 gründete er Penda zusammen mit seinem Partner Sun Dayong, der ebenfalls für Graft tätig war. Penda ist ein Designer-Netzwerk, das aus Überzeugung innovative, ökologische und elegante Antworten auf soziale, urbane, funktionale und formale Fragen liefert. Die Mitglieder dieses Netzwerks entwerfen haptische Architektur mit digitalen Tools, künstlerischem Ansatz und handwerklicher Umsetzung. |
Albuquerque Goinhas, Embaixada Arquitectura, Portugal Albuquerque Goinhas wurde 1977 im portugiesischen Beja geboren und graduierte 2001 an der Universität Lusíada in Lissabon im Fach Architektur. 2013 schloss er am Universitätsinstitut ISPA mit einem Master in Gesellschafts-Psychologie ab. Albuquerque Goinhas ist einer der Mitbegründer von Embaixada Arquitectura, einem 2001 gegründeten, preisgekrönten Lissaboner Architekturstudio. |
Hauptredner Alejandro Zaera-Polo schilderte in seinem Vortrag seine Sicht des Themas anhand von ihm geplanter Projekte, die Standardprodukte und spezielle Lösungen auf ganz unterschiedliche Art und Weise verbinden. Mit Fokus auf das Beispiel Fassadendesign legte er dar, wie sich der Begriff Standard durch digitales Design und digitale Herstellprozesse ganz neu definieren lässt, nämlich als massenhafte Individualisierung von Bau-Elementen. Durch sein Referat vermittelte er spannende Einblicke in seine Architekturphilosophie, in der Standard- und Sonderlösungen eine harmonische Koexistenz führen. Diese Gratwanderung gelingt Alejandro Zaera-Polo auf unterschiedliche Art und Weise, wobei er seine Aufgabe für jedes einzelne seiner zahlreichen Projekte spezifisch interpretiert: Sein außergewöhnliches architektonisches Schaffen beinhaltet alle Arten von Wohnbauten ebenso wie Hotels, Museen, Theater, Universitäten, Transport- und Infrastruktureinrichtungen oder Projekte wie den spanischen Pavillon der Weltausstellung Expo 2005 in Aichi (Japan). Er plädiert für eine pragmatische Annäherung und hebt hervor, dass es keinen allgemein gültigen Königsweg für die Realisierung des »perfekten Projekts« oder für die Zusammenarbeit mit Auftraggebern gibt. Seiner Ansicht nach genüge es heutzutage als Architekt nicht mehr, die eigenen Vorstellungen und den eigenen Geschmack mit aller Gewalt durchzusetzen, vielmehr müsse ein Planer die maßgeblichen Personen und Gruppen überzeugen oder noch besser begeistern. Dieser Aspekt war letztlich auch die Quintessenz der folgenden Diskussion zwischen dem Hauptredner und den jungen Architekten.
Welche Erwartungen haben Architekten an die Bau-Industrie und umgekehrt? Diese Frage wurde in der Podiumsdiskussion erörtert. Teilnehmer waren:
- Alejandro Zaera-Polo
- Robert Hofmann (Berater und Trainer von Agrob Buchtal) und die anwesenden Mitglieder der Pecha-Kucha-Jury:
- Manuelle Gautrand
- Sabine Krumrey
- Kristina Bacht.
Eines der Resultate dieser Debatte war, dass ein frühzeitiger qualifizierter Austausch im Vorfeld von Projekten für beide Seiten unabdingbar ist. Architekten zeigen sehr großes Interesse daran, wie die eingesetzten Produkte hergestellt werden, um neue Möglichkeiten zu entdecken und Grenzen zu verschieben. Für Manuelle Gautrand sind Dialoge und Veranstaltungen wie diese unheimlich wichtig. Nach seiner Meinung wollen Architekten gefragt werden und freuen sich über die Möglichkeit, mit zu gestalten. Dies kam auch durch die vielen Fragen und Anregungen bei der Führung durch das Werk Buchtal zum Ausdruck. Dem Titel der Fachtagung folgend, wurden dabei zwei Betriebsteile besichtigt: Einerseits die Herstellung von Standardprodukten, andererseits die Fertigung von Spezialartikeln im Stile einer Manufaktur.
Ivana Mirosavic (im.architektur, Serbien) zieht folgendes Fazit: »Das Symposium diente nicht der Beeinflussung, sondern dem Austausch von Ideen und Ansichten. Es war eine prima Möglichkeit über Standard- und Sonderlösungen in einer intellektuell anregenden Atmosphäre zu reflektieren.« Marion Bürger (Leiterin Brandmanagement Agrob Buchtal) schloss die Konferenz, indem sie die Bedeutung der Veranstaltung abschließend zusammenfasste: »Diese Art des Dialogs trägt dazu bei, dass Keramikfliesen in einem anderen Licht gesehen und auf kreative Weise eingesetzt werden.«